Kapstadt ist neben Deutschland und Finnland quasi mein drittes zu Hause. Als ich damals im Mai 2013 aus der Klinik kam, ging ich für 10 Monate an das andere Ende der Welt. Die Therapie sacken lassen. Verinnerlichen. Verarbeiten. Neue Umgebung, neue Menschen, neue Luft, neuer Lebensabschnitt und neue Energie. Die beste Entscheidung meines Lebens. Unter diesem Kapitel werde ich euch von meinen Erfahrung berichten und warum ich Südafrika so liebe.
Als ich vorhin ein Buch gelesen habe, bin ich komplett abgeschweift und habe angefangen, an Kapstadt zu denken. Auf einmal lief ein Film vor meinen Augen ab, was ich alles erlebt habe, ich hatte wieder die Farben vor Augen, die Gefühle im Herz und den Duft in der Nase. Natürlich war ich auch bisher sehr dankbar, über all das was ich erleben durfte. Aber jetzt, während Corona und des zweiten harten Lockdowns, ist es, als würde meine Dankbarkeit ein ganz neues Level erreichen. Meine Erinnerungen sind etwas, mit denen ich innerlich gerade "überlebe". Sie geben mir Kraft und Energie. Denn ich bin so dankbar, dass ich all was erleben durfte, dass ich all das machen konnte, dass ich so unbeschwert leben durfte und dass es damals noch kein Corona gab. Vor allem aber bin ich dankbar darüber, dass ich Gott sei Dank zu den Menschen gehöre, die nie lange überlegt oder geplant haben, sondern immer gemacht haben. Und genau dafür bin ich gerade unendlich dankbar. Aber welche Erinnerungen waren es, an die ich mich vorhin so reihenweise erinnerte? 1. Ganz klar: Das Wetter! Es macht so viel mit einem und mit der Stimmung 2. Die Natur. Generell habe ich in Südafrika die schönste Natur erleben dürfen, die ich je gesehen habe. 3. Der Full Moon Walk auf den Lions Head, als ich noch relativ neu war, mit ganz vielen Menschen die ich nicht kannte. Es war atemberaubend. 4. Sonnenaufgänge auf dem Signal Hill. 5. Der Blick vom Tafelberg. 6. Der Blick auf den Tafelberg. 7. Die tollen Märkte mit den frischen Sachen. 8. Richtig gute Partys 9. Wie ich meine Liebe zu Rotwein und Avocados entdeckte 10. Winetastings. 11. Safarias (außerhalb von Kapstadt natürlich) 12. Übernachtungen auf dem Weingut. 13. Sunday Day Partys at Mzolis und Camps Bay. 14. Die beste Pizza meines Lebens (in Table View) 15. Das beste Sushi meines Lebens haha 16. Der Dialekt der Südafrikaner 17. Der Drive auf dem Chapmans Peak. 18. Die Ausflüge nach Kalk Bay mit meinen südafrikanischen Mitbewohnern. 19. Teddy, einer meiner Mitbewohner, der leider später bei einem Autounfall ums Leben kam. Wenn man ihn traf, ging die Sonne auf. Er strahlte und es wird mir warm ums Herz, wenn ich an ihn denk 20. Die Pinguine am Boulders Beach. 21. Die Roadtrips wie zum Beispiel die Garden Route. 22. Die beste Partynacht im Jeffreys Bay Hostel. 23.Brunch an der Waterfront. 24. Silvester im Kirstenbosch Botanical Garden. 25. Hout Bay Market. 26. Die Nächte auf der Long Street. 27. Das Kloof Street House. 28. Abende in der Asoka Bar. 29. Abende im Pirates in Hout Bay. 30. Srrandtage in Camps Bay oder Clifton. 31. Die unzählbaren Lachanfäll haha. 32. Joggen in Sea Point.
Manchmal entscheidet das Leben für einen, welchen Personen man begegnen soll. Ich glaube wirklich, dass es Schicksal war, als Cindy und ich uns im Oktober 2013 eines Abends in einem Restaurant in Kapstadt auf der Long Street begegneten. Wir saßen am selben Tisch und es wäre wirklich die Untertreibung das Jahrhunderts, wenn man sagen würde, dass wir uns sympathisch waren. Es hat sofort klick gemacht und wir beide hatten das Gefühl, uns von irgendwoher zu kennen. Wir kamen uns richtig vertraut und bekannt vor, und es stellte sich heraus, dass wir aus der selben Region in Deutschland kommen, aber wir haben nie heraus gefunden, ob wir uns schon mal vielleicht irgendwo begegnet sind. Zumindest hat es sich aber so angefühlt. Ich glaube auch wirklich, dass das Leben einem nur selten solche Menschen vorbei schickt. Seit diesem Abend eroberten wir Südafrika zusammen, und obwohl wir eigentlich grundverschieden waren und sind, ticken wir auf der anderen Seite wieder absolut gleich. Es gibt wirklich nur wenige Menschen in meinem Leben, zu denen die Verbindung SO stark ist. Mit denen ich so unglaublich viel lache. Egal ob nüchtern oder betrunken, wenn wir uns treffen, rollen wir jedes Mal vor Lachen über die Straße und kichern bis 4 Uhr morgens in der Wohnung, schnappen vor Lachen nach Luft und weinen Tränen, krümmen uns vor Bauchschmerzen und fragen uns in dem Moment, ob dieser Lachanfall überhaupt jemals wieder aufhört. Es ist als würde Licht und Energie in die Seele gepumpt werden. Es ist jedes Mal wie Urlaub für den Geist, wie Heilung. Und genau das ist es auch, was ich an ihr liebe. Jedes Mal wenn ich mich mit ihr treffe, ist es, als würde mein Akku aufgeladen werden. Sie ist so eine persönlichkeitsstarke Frau, mit Ecken und Kanten (positiv gemeint) , einfach ein Typ, der sich von dem Durchschnittsdeutschen abhebt. Sie hat einen wahnsinnig großen Unterhaltungswert und eigentlich, rein theoretisch, würde sie meiner Meinung nach auf die Bühnen der Welt gehören, egal auf welche haha. Sie muss gesehen werden. Ich liebe es, dass sie so viel Power hat, so edgy ist, so anders ist als die Masse da draußen, und wir unsere grenzenlose Leidenschaft für Abenteuer und Verrücktheit teilen. Wir hassen Langeweile, wir hassen Hamsterrad Alltag, und wir mögen keine Spießer. Wenn wir neuen Menschen begegnen, müssen wir uns nur einmal anschauen und lesen in den Augen des anderen, was er von dem Menschen hält haha. Wir mögen die gleiche Sorte von Menschen, aber eine unterschiedliche Sorte an Männern :D. Wenn wir zusammen sind, ist es, als würden sich die Tore öffnen und als wäre auf einmal alles möglich. Mit ihr kann ich meine Verrücktheit ausleben und ihr freien Lauf lassen, weil sie genauso ist haha. Sie kennt meine dunkelsten Seiten und weiß mittlerweile wirklich so gut wie alles über mich. Zu Südafrikazeiten waren wir ziemlich Bad Ass unterwegs - im Rückblick: Das beste was man mit 21 hätte tun können :D. Entertainment pur. Es hätte eigentlich verfilmt werden müssen. Freundschaften sind nicht immer gleich. Es gibt gute Freundschaften, aber es gibt besondere Freundschaften. Mit manchen Menschen hat man einfach das Gefühl, dass sie ein Teil von einem selbst sind.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Mitte September 2013. Ich hatte den Sommer in Deutschland verbracht, nachdem ich im Mai 2013 von meiner Mutter aus der Klinik abgeholt wurde. Ich erinnere mich noch unglaublich gut an diesen Moment und an dieses Jahr. Die vergangenen 3 Monate hatte ich an mir selbst gearbeitet wie ein Tier. 12 Wochen Klinik, in denen ich in mein tiefstes Inneres ging. Erst Jahre später wurde mir selber bewusst, was für eine Wahnsinns Arbeit ich da eigentlich mit 20 Jahren hingelegt habe. Heutzutage ziehe ich wirklich den Hut vor meinem 20 jährigen Ich. Wie viel Kraft ich aufgebracht habe, wie ich all das gemeistert habe, verglichen damit, wo ich davor stand. Es war körperlich und seelisch äußerst anstrengend, aber jeder Tag war es Wert. Ich verbrachte den Sommer also in Deutschland und flog im September 2013 über Dubai nach Kapstadt. Ich hatte lange überlegt wohin ich möchte, denn für mich stand fest, wenn für eine längere Zeit ins Ausland, dann jetzt. Die Klinik sacken lassen. Verarbeiten, Abstand. Ich überlegte zwischen Australien, Brasilien und Südafrika. Australien war zu teuer. Und Brasilien bedeutete ich müsste schon wieder eine neue Sprache lernen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber schlicht und einfach keine Lust dazu, ich kam erst aus der Schule, hatte Italienisch Leistungskurs gehabt, sprach Englisch und Finnisch, und jetzt direkt noch Portugiesisch? Nee. Zu anstrengend. Zu anstrengend für diese Zeit in meinem Leben, obwohl ich Sprachen schnell lerne. Ich wollte es mir einfach machen und entschied mich aus diesem Grund für Südafrika. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt so ungefähr jeder als Au Pair in Australien. Ich wollte auch erst Au Pair machen, aber entschied mich dagegen. Ich kannte mehrere Au Pairs und hatte auch vieles gehört, was weniger gut war. Zudem hatte ich das Gefühl, dass mir das keinen "Sinn" geben würde. Ich brauchte eine andere Herausforderung... Also entschied ich mich für soziale Projekte. Ich arbeitete zunächst im St. Annes Home in Woodstock, später im Red Cross Childrens Hospital und dann im Ons Plek Waisenhaus, auch in Woodstock. Ich liebte es. Vor allem das Waisenhaus. Es war anstrengend, es war eine andere Welt. Über die Arbeit werde ich nochmal einen extra Artikel machen. Aber ich liebte es. Ich weiß noch, wie meine Mutter mich zum Flughafen in Frankfurt fuhr. Ich ging durch den Check in, drehte mich um und sah sie weinen und strahlen zugleich. Sie winkte, und 10 min später klingelte mein Handy. Sie sagte, dass sie mich vermissen würde. Denn nun flog ich für 10 Monate an das andere Ende der Welt, ihre jüngste Tochter ging weg. Ich ging durch den Check In am Frankfurter Flughafen, da passierte schon direkt die erste skurrile Situation. Ich hatte einen kleinen Trolli meines Bruders als Handgepäck dabei, den ich vorher nicht genau durchsucht hatte. Irgendetwas fiel bei der Kontrolle auf und ich musste den ganzen Koffer leeren. Ich fing an zu schwitzen und überlegte fieberhaft, was ich so gefährliches eingepackt habe. Sie fanden in der Innentasche ein Taschenmesser. Ich fing an zu lachen erzählte ihnen die Wahrheit: Dass es der Koffer meines Bruders war und ich ihn nicht genau durchsucht hatte.Die Antwort der Flughafen Mitarbeiter: " Naja, du siehst jetzt nicht gerade aus wie eine Terroristin (ich hatte meine blonden Haaren zu zwei Zöpfen gemacht). Das passt schon." Entgeisterter starrte ich die beiden an. War das deren Ernst?? Theoretisch hätte ich mich beschweren sollen, wie man so leichtsinnige Menschen am Flughafen arbeiten lassen kann. Unglaublich.In Dubai angekommen warf ich das Messer direkt in die erste Mülltonne, denn ich hatte angst man würde mich verhaften hahaha. Nun war es so weit. Ich wartete am Gate in Dubai auf meinen Flug nach Kapstadt. Jetzt wurde es ernst, ich war wahnsinnig aufgeregt. Afrika....Ich ging wirklich nach Afrika. Alleine. Für so lange. Der Flug verging wahnsinnig schnell. Als wir über Ägypten waren, machte der Kapitän eine Durchsage, dass wir gerade eine atemberaubende Sicht haben. Der Mann neben mir drängte sich so breit vor das Fenster, dass ich außer seinen dicken Rücken gar nichts zu Sehen bekam und beleidigt war. Der Rest der Zeit verging wahnsinnig schnell und dann hieß es schon prepare vor landing. Keine Ahnung warum ich das noch weiß, aber die Frau neben mir fing hysterisch an sich zu schminken. Ich sah die Berge und den blauen Himmel aus dem Flieger und mein Herz klopfte. Wahnsinn. Jetzt war ich am anderen Ende der Welt. Ich konnte es gar nicht fassen. Würde es mir gefallen? Was wenn nicht? Die Frau meiner Organisation holte mich am Flughafen von Kapstadt ab. Wir gingen in Table View etwas essen und danach fuhr sie mich zu meiner Unterkunft. Ich wohnte die ersten 8 Wochen zusammen mit anderen Südafrikanern in einem Haus in Woodstock. Das fand ich richtig cool. Dass man mich nicht mit anderen Deutschen zusammenwürfelte wie so oft, sondern ich direkt Anschluss an die Einheimischen bekam. Sie waren wirklich sehr nett zu mir, wir gingen abends öfter aus und sie halfen mir viel. Jedoch war mein Zimmer, das wirklich ein Loch war, für 10 Monate wirklich zu klein, denn ich musste es mir auch noch teilen. Wie es das Schicksal so wollte, stand ich eine Woche später nach der Arbeit an der Bushaltestelle. Neben mich trat ein Mädchen, das genauso verloren aussah wie ich. Ich sprach sie, ob sie von dort sei. Sie lächelte und meinte: "Nein, ich komme aus den Niederlanden." Wir sprachen zusammen eine Weile, es stellte sich heraus dass sie auch neu in Kapstadt war, dann tauschten wir Facebook aus und nur einen Monat später bezogen wir zusammen eine wunderschöne Wohnung in Three Anchor Bay zwischen Sea Point und Green Point. Eine Traumwohnung!!! Die schönste Wohnung, in der ich je gelebt habe. Ja, so fing mein Jahr in Kapstadt an. Es war am Anfang wirklich auch schwierig, als 21 Jährige in eine so fremde Welt geworfen zu werden, ohne dass man jemanden kennt. Ein Ort, an dem man nicht so eine Sicherheit hat wie in Deutschland. Ich musste die ersten paar Wochen ca. 20 Min zur Arbeit laufen, durch Observatory und Woodstock. Ich hatte wirklich Angst, die Menschen starrten mich an als sei ich vom Mond. Obersavotry und Woodstock sind jetzt nicht die besten Gegenden, aber auch nicht die schlimmsten. Aber im Vergleich zu Deutschland ist es trotzdem eine andere Welt, vor allem wenn man so jung ist und im privilegierten Baden- Württemberg aufgewachsen ist haha. Bis ich begriff, dass sie mich wahrscheinlich nur deshalb anstarrten, weil mir die Angst auf die Stirn geschrieben stand. Nach ungefähr drei oder vier Wochen änderte ich meine Einstellung, haute mir Musik auf die Ohren und lief mit einer neuen Haltung durch die Viertel. Jeder, der mich durchdringlich ansah, bekam auch einen genau solchen Blick zurück. Ab da näherte sich mir keiner mehr. Wahnsinn wie das funktionierte. Ich ließ mir ab sofort keinerlei Unsicherheit mehr anmerken, und keiner kam mir je wieder zu Nahe. Ab hier begann mein Jahr mit Ups and Downs, von dem ihr in Zukunft noch ganz viel erfahren werdet :).
In meinem Leben gab es diesen einen einzigen Tag, einen einzigen Moment, der mir für immer in Erinnerung bleiben wird. Der einzige Moment in meinem Leben, in dem ich richtige Todesangst hatte. Der hoffentlich erste und letzte Moment, in dem ich Todesangst erlebt habe. Hattet ihr das schon mal? Dass ihr wirklich die Augen geschlossen habt und dachtet, es sei gleich vorbei? Absolut überzeugt, dass es jetzt keinen Ausweg mehr gibt? Ich habe das erlebt und hoffe, dass ich so etwas nie wieder erleben muss. Trotzdem bin ich im Nachhinein irgendwie dankbar für diese Erfahrung, und vor allem dankbar dafür, dass es doch nicht mein letzter Moment war. Dieser Moment hat mir viel verdeutlicht. Wir machten mit den Kindern vom Frauenhaus, in dem ich arbeitete, einen Ausflug zum Bahnhof, damit die Kinder mal einen Zug sahen und einmal Zug fuhren, denn sie wussten nicht was das ist. Geplant waren lediglich drei Haltestellen (ich meine mich zu erinnern es waren genau drei) von Cape Town Main Station nach Salt River. In Kapstadt gibt es in den Zügen ja verschiedene Klassen, was man an sich auch schon diskutieren kann. Ich meine jetzt nicht so wie in Deutschland erste und zweite Klasse, sondern dort waren die Klassenunterschiede wie verschiedene Welten, so extrem. Ich weiß noch, wie mir bei meiner Ankunft von vielen dort abgeraten wurde, die 3. Klasse zu nehmen. Einmal, und das war erst meine zweite Woche in Kapstadt, vergaß ich das und stieg versehentlich in die 3. Klasse ein. Mir bot sich ein komplett anderes Bild, als das was ich als junge 20 jährige Frau aus Deutschland kannte. Ich war die einzige Weiße im Abteil, alle starrten mich an, nicht unbedingt auf die freundlichste und einladendste Art und Weise, während ich mit meinen 20 Jahren ängstlich im Abteil stand, die Türen sich schlossen und ich mir nur dachte Shit. Eine Haltestelle später wechselte ich in die 1. Klasse, und war völlig überrascht. Die Security öffnete mir im Anzug die Tür und im Abteil befanden sich weitere Leute im Anzug und Geschäftsleute, und ich hatte das Gefühl ich bin in einer anderen Welt. Dabei war es ein und derselbe Zug. Allein das brachte mich schon gewaltig zum Nachdenken. Nun, ich vermied es in Kapstadt so gut es ging Zug zu fahren. Ich fühlte mich einfach unwohl, aber Gott sei Dank brauchte ich das auf meinen alltäglichen Routen auch nicht. Ein paar Monate später machten wir also diesen Ausflug zum Hauptbahnhof: Ich, eine Erzieherin und 12 kleine Kinder. Wir stiegen in die 3. Klasse ein, denn offensichtlich fand ich es absolut dämlich das in dieser Situation nicht zu tun, denn ich war nun mal als Aufsichtsperson dabei. Naja, wird schon gut gehen! Dachte ich. Als wir im Abteil saßen kam ein Mann herein, sehr groß, stark, farbig, ruhig. Ich dachte mir nichts dabei, er wirkte genauso friedlich wie alle anderen die da schon saßen. Er setzte sich in einen Vierer und schaute aus dem Fenster heraus. Der Zug stand noch für ein paar Minuten still, bevor er sich in Bewegung setzte. Kaum fuhr der Zug los, fing dieser Mann erst mit lauten Selbstgesprächen an, aber wenige Sekunden später sprang er auf und fing aggressiv an herumzuschreien, auf einer Sprache die mir nichts sagte. Es war aber definitiv kein Afrikaans und kein Xhosa. Ich hatte keine Ahnung was das war, aber das wurde auch schnell zur Nebensache, als der Mann ein Messer zog. Er stand fast die ganze Zeit bei mir und ich merkte, dass er mich von oben anschaute. Ein oder zwei Mal entfernte er sich ein paar Schritte durch den Wagon, kam aber immer wieder zurück zu uns, blieb jedes Mal auf meiner Höhe stehen. Schrie laut herum. Die Kinder hatten sich schon längst verkrochen, vergruben ihre Gesichter oder versteckten sich unter den Sitzen. Ich schaute die Erzieherin an, die gegenüber von mir saß und mich kalt und erstarrt anschaute.Ich konnte nichts tun, nichts sagen, ich war einfach nur still, versuchte zu atmen und wartete auf den Moment, dass er auf mich einstach. Denn er war so unglaublich aggressiv und dadurch dass er immer wieder neben mir anhielt, hatte ich das Gefühl, er würde zu mir sprechen, er würde mich meinen. Und ich war die einzige Weiße im Abteil und war mir sicher, wenn jemand, dann ich. Ich weiß noch - ich schaute rechts zum Fenster heraus, die Sonne schien, die Gegend flog an mir vorbei, ich sah eine andere Haltestelle, und dann tauchten die Bilder wie im Film vor mir auf: Mein Vater, meine Mutter, und meine Geschwister. Ihre Gesichter waren klar zu sehen. Ich schloss die Augen und betete zu Gott. " Lieber Gott, ich liebe sie alle. Bring es ihnen auf einem Weg vorbei, lass es sie wissen, egal wie. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, das ist mein letzter Wunsch. Sorge dafür dass sie es wissen." Ich spürte förmlich wie mein Gebet in den Himmel stieg und traute mich nicht, die Augen zu öffnen. Ich spürte wie der Mann neben mir stand, aber die Augen zu öffnen kam nicht in Frage. Ich war mir sogar ganz sicher, dass falls ich ihn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde anschauen würde, ich tot wäre. Ich hatte keine Zweifel. Ich hatte das Gefühl, er wartete dass ich das tue, um mich dann abzustechen. Ich wartete, der Mann schrie. Nichts passierte. Redete er zu mir? Zu allen? Wo schaute er gerade hin? Ich konnte nicht hingucken. Aber es passierte nichts. Langsam öffnete ich wieder die Augen, nur ganz leicht. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich merkte, wie er sich etwas entfernte. Ich schaute wieder zu Veronica, warf einen Blick runter zu den Kindern, die mich von unten anschauten. Leah schaute mich verängstigt an. Nächste Haltestelle Salt River. Wir mussten raus. Veronica stand die Angst ins Gesicht geschrieben. "Können wir raus?" fragt sie mich leise, als der Mann ein paar Schritte in die andere Richtung ging. Ich weiß noch, dass ich etwas verwundert war über diese Frage. Woher sollte ich das denn wissen? Außerdem war sie diejenige, die in Kapstadt erfahren war. Ich überlegte. Was war die Alternative? Weiter fahren bis keine Ahnung wohin? Das machte in meinen Augen wenig Sinn. Würde er uns nun was antun wenn wir ausstiegen? In diesem Moment hatte ich einen Anflug von Mut, die Angst ließ tatsächlich etwas nach. "Wir steigen aus.", sagte ich. Und dachte mir, wenn nun etwas passiert, dann ist es eben so. Dann sollte es so sein, aber wenn wir 5 Haltestellen später aussteigen, kann genauso was passieren. Also raus. Ich blieb dabei und schaute ihn nicht an. Wir sagten zu den Kindern dass wir nun aussteigen müssen. Wir standen auf und gingen zur Tür, der Zug hielt. Veronica ging zuerst mit ein paar Kindern raus, der Mann war immer noch sehr nah. Er lehnte nun an der der Wand. Ich war von unserer Gruppe die letzte, die den Wagon verließ, und da hatte ich diesen Impuls und ich konnte auf einmal nicht anders: Beim Aussteigen sah ich ihn direkt an. Er schaute mich ebenfalls direkt an, und wir hielten den Blick kurz Stand. Aber was ich da sah, war gar kein Hass. Ich glaube, er hasste mich gar nicht, ich glaube er wollte mir gar nichts antun. Denn ich erwartete irgendwie eine andere Art von Blick. Ich erwartete, dass er mich wütend und hasserfüllt anschaute, aber was ich in den Augen sah, war Enttäuschung, Trauer und tiefe Verzweiflung. Aber keine Wut, und nichts "Böses". Es war eher ein sehr weicher und emotionaler Blick, der sagte " Hilf mir." Fast schon ein Blick der um Hilfe flehte, der nach Hilfe schrie. Aber kein Blick, der anderen Menschen Böses wollte. Das war meine Auffassung in dem Moment. Da bin ich mir ganz sicher. Trotzdem werden jetzt viele mit Sicherheit sagen " Naja, wenn er ein Messer hatte, hatte er wohl wahrscheinlich doch böse Absichten." Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß war, dass mich ein ganz anderer Blick traf als den den ich erwartete. Und diesen Blick traf ich dort oft. Es waren verlorene Seelen, Menschen, die viel Trauer und Enttäuschung wegstecken mussten, Menschen, die verzweifelt waren. Was mussten diese Leute nur mit sich rumtragen? Leute, die sich so verhielten wie er? Durch erster Hand erfuhr ich bei der Arbeit oft von persönlichen Geschichten, die mir unter die Haut gingen. Schwangere Frauen, die von zu Hause raus geworfen wurden oder im Winter auf den Balkon zum Schlafen ausgesperrt wurden. Denen nichts zu Essen gegeben wurde.Frauen, die vergewaltigt wurden, Kinder, die sexuell missbraucht wurden, Kinder, denen mit 6 Jahren beigebracht wurde mit einer Waffe umzugehen. Was mir aber auch nochmal bewusst wurde ist, dass wenn wir denken, dass wir sterben, es automatisch unsere Liebsten sind, die vor unserem Auge auftauchen. Das Herz und dein Kopf zeigen dir automatisch noch einmal die Menschen, die du liebst. Durch diesen Moment wurde mir auch verstärkt bewusst, wen ich wirklich liebe, für wen ich wirklich lebe. Nicht, dass es mir davor nicht bewusst war. Aber es war ein Moment der mir Nachdruck verlieh, als mein Herz mir zeigte: SCHAU. DIESE LEUTE LIEBST DU WIRKLICH. Wenn man fast tot ist oder eben glaubt gleich tot zu sein, zeigt das Leben dir nochmal wen du wirklich liebst. Und auch wenn ich meine Freunde liebe, so waren es doch an erster Stelle mein Bruder, meine Schwester und meine Eltern. Ganz besonders auch meine Geschwister, weil ich in dem Moment dachte: Ab jetzt seid ihr zu zweit. Ich würde nun weg gerissen werden. Aber es passiert nicht. Gott sei Dank sollte es für mich noch nicht vorbei sein. Der Mann blieb im Zug und wir stiegen in Salt River aus. Die Security stand am Bahnsteig, ich schaute den Mann mit seinem Schlagstock an und dachte mir: Wie verletzt ist die Welt? Der Zug fuhr wieder an. Ich drehte mich noch einmal schnell um. Der Mann mit dem Blick der nach Hilfe schrie schaute mich immer noch an.
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